Artikel Kommentare/Briefe Statistik Der hollndische Fotograf Anton Corbijn wurde durch seine Starportrts weltberhmt. Von Beginn seiner Karriere im Jahr 1977 bis heute widmete er sich der Pop- und Rockszene. Wer Rang und Namen hatte, wurde von ihm auf Papier gebannt, meist in Schwarzwei. Nicht das Rampenlicht und die Fassade interessieren ihn, sondern was sich dahinter verbirgt. Mit ungewhnlichen Perspektiven und eigenwilliger Lichtregie - er arbeitet viel mit Schatten - sucht er das angemessene Bild fr sein Modell. Es entstehen eindringliche Portrts mit viel Intensitt und Nhe. Sie halten Momente der Verletzlichkeit und der Einsamkeit fest, geben aber auch Raum fr expressive Selbstdarstellung. Als Hintergrund benutzt Corbijn das unmittelbare Umfeld, sei es ein Straenzug, die Meeresbrandung oder eine Hauswand. Es gehrt formal zur gesamten Komposition und inhaltlich zur Gefhlswelt, zur Atmosphre, zum Menschen, den er portrtiert. Zwischen London, seinem Hauptsitz, Paris, New York und Los Angeles pendelt Corbijn hin und her auf der Suche nach geeigneten Motiven.
Die "Galerie Anita Beckers" und das "ATELIERFRANKFURT" zeigen seit dem 27. Juli in Frankfurt eine Doppel-Ausstellung mit Fotoprints von Anton Corbijn. Unter dem Titel " #5 "sind 18 in Europa bisher nicht veröffentlichte Fotos aus den Jahren 1972 – 2014 zu sehen. Gezeigt werden ausschließlich Fotos von Musikern wie David Bowie, Johnny Cash, Kurt Cobain, Nick Cave, Patti Smith – und natürlich Depeche Mode. Von Martin Gore ist eine Aufnahme in New York in Sichtweite der Twin Towers zu sehen, in der er – wie auf Plattencover von " World In My Eyes " – die Hände zu einer Brille formt. Dave Gahan treffen wir im Jahr 1993 als sein Rockstar-Alter-Ego wieder. Anton lichtete den Sänger, mit verschlossenen Augen im Bett liegend, sein Körper voll mit kleinen Narben, ab. Vermutlich hat sich Gahan die Verletzungen beim Stage Diving zugezogen. Nicht nur wegen dieser beiden Aufnahmen ist die Ausstellung einen Besuch wert. Die "Galerie Anita Beckers" zeigt den ersten Teil der Ausstellung "#5" in der Braubachstraße 9.
Mit der bewussten formalen und auch inhaltlichen Verweigerung des gewohnten Glamours zelebriert er die Anti-Pose und den Anti-Star. Diese Dekonstruktion des jeweiligen Images erweist sich nur als neue Stilisierung und Spielart innerhalb der unendlichen Transformation der Popkultur. Behutsam lotet Anton Corbijn die Ambivalenz zwischen Image und Authenzität, zwischen Inszenierung und Realität, zwischen Akteur und Betrachter aus. Für Anton Corbijn ist das Analoge im Prozess des Fotografieren elementar. Das Shooting ist für den Autodidakten jedes Mal ein Abenteuer – rausgehen, im vorhandenen Licht der jeweiligen Tageszeit Bilder machen und erst beim Entwickeln einige Tage später erkennen, was auf dem Film gebannt ist. Mit dieser Methode vermeidet der Fotograf den Versuch, ein Bild immer noch perfekter zu machen – eine der Versuchungen der digitalen Fotografie. Heutzutage wirkt diese analoge Arbeitsweise fast schon anachronistisch. Zum 60. Geburtstag von Anton Corbijn feiert C/O Berlin den weltweit renommierten Fotografen und Regisseur in einer großen Retrospektive mit rund 600 Fotografien, Filmen und weiteren Exponaten.
Ausgestattet mit einer geliehenen Nikon Kamera seines Vaters, mit der er Rockkonzerte besuchte, bedeutet die Fotografie für den schüchternen Teenager zunächst die Möglichkeit, sich seinen Vorbildern auf indirektem Weg zu nähern. Der Erfolg seiner ersten Aufnahmen, in denen sich die Musiker wiederfinden, ermöglichen Corbijn bald, die Kreise seiner Interessenfelder weiter zu ziehen und über die Musikszene hinauszugehen. Über seine Freundschaften zu Musikern wie Bono von U2 oder Michael Stipe von R. findet er Kontakte zu Stars und Prominenten wie William Burroughs, Martin Scorsese oder Salman Rushdie. Ob er in seinen fake documentaries die Fotografie der Papparazzi inszeniert und den Wahrheitsgehalt dieser Aufnahmen torpediert oder wie in seiner jüngsten Serie strijen sich selbst in der Pose verstorbener Heroen wie Frank Zappa oder Bob Marley: Immer wieder thematisiert Corbijn die Spannung zwischen Inszenierung und Realität, das Dasein als Star, das in höchstem Grad dem Leben als normalen Menschen fassadenähnlich vorgehalten wird.